Schreiben und Identität

Schreiben bedeutet, Identität ist brüchig geworden, der Autor kämpft darum, sich seiner selbst, seiner Person wieder habhaft zu werden, im wortwörtlichen Sinn. Er kann das nur übers Schreiben. Schreiben setzt die Bruchstücke wieder zusammen, die im Alltags-, Berufs-, Privatleben verschüttgegangene Persönlichkeit. In diesem Sinne ist Schreiben ein Wiederfinden, wenn nicht Therapie und Heilungsprozedur. Ohne Begriff von sich selbst – und mit ‚Begriff’ ist hier auch ein Gefühl gemeint -, ohne diese Persönlichkeitsmelodie, die in allem mitschwingt, was Menschen tun, ist das Leben nicht auszuhalten. Man wüsste buchstäblich nicht, wohin der nächste Schritt zu setzen ist. Für den Autor webt das Schreiben aus den losen Fäden des gesellschaftlichen Lebens ein Muster, einen Stoff. Schriebe er nicht, könnte er sein Selbstgefühl nicht aufrechterhalten. Lässt er sich in Erledigungen, Verpflichtungen, Ablenkungen reißen, kommt er sich selbst abhanden. Nicht nur Schreibfluss, Inspiration, auch Hellsicht, Witz, Originalität der Person gehen verloren. Selbst wenn er dann Zeit und Muße hat, fällt ihm nichts mehr ein. Er wüsste nicht worüber schreiben.

Er kommt an einen Punkt, da gibt es keine Ausrede, keinen Ausweg mehr. Die Fragmente müssen gesucht, zusammengesetzt, die Melodie neu erfunden werden. Das ist immer auch prekär. Das Gelingen steht auf der Kippe. Es ist dem Text anzusehen, wieviel Dringlichkeit mit seiner Entstehung verbunden war. Ob er notwendig oder gleichgültig ist. So viele Texte, die geschrieben sind, um anderen einen Gefallen zu tun, ein Buch zu füllen, einen Auftrag zu erledigen, Gefallen zu erregen, Eindruck zu schinden. Notwendige Texte dagegen tanzen am Abgrund.

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