Lob des Halbwissens

Wir sollten uns vom Expertenwissen nicht einschüchtern lassen und unser Halbwissen, unser Teilwissen, unser Alltagswissen, unsere kleinen Wissensinseln im Meer des Wissensmöglichen wieder zugänglich machen für den gesunden Menschenverstand. Hilfe, der gesunde Menschenverstand! Für welche dumme bornierte, kleingeistige, vorurteilsgeladene Politik und Ideologie muss der gesunde Menschenverstand herhalten. Oder gar das gesunde Volksempfinden! So meine ich es nicht. Im Gegenteil. Das Spezialwissen soll seinen Ort als Korrektiv gegen Irrtümer der alltäglichen Verständlichkeit behalten. Aber es gibt auch eine Spezialisierung aufs Generelle, die gegen die jeweilige Hausmacht der Spezialdisziplinen ins Hintertreffen zu geraten droht. Nach dieser Auffassung sollte der gesunde Menschenverstand nicht fehlendes Spezialwissen ersetzen, sondern eine Perspektive auf schwierige gesellschaftliche Themen eröffnen, die sich ihrer beschränkten Wissensquellen bewusst ist, aber ihren Mangel an Spezialisierung dennoch als Qualität des generalisierenden Zugangs selbstbewusst zur Geltung bringt. Was lässt sich aus dieser Perspektive zur Atomkraft, zur Finanzkrise, zum Rechtsradikalismus, zur Bildungsdebatte, zum Streit um erneuerbare Energien, zum Klimawandel, zum weltweiten Wiedererstarken des Nationalismus und Militarismus beitragen? Für Nichtspezialisten sollte es für die Angelegenheiten unserer Zeit keine voreiligen Barrieren geben und der Vorwurf der Unterkomplexität nicht greifen. Der Grat ist schmal. Der Ideologe oder Populist, der mit einfachen Wahrheiten wider besseres Wissen auf Stimmenfang geht, verrät den gesunden Menschverstand. Im Generalisieren aber, das interessefrei bleibt und auf Erkenntnisgewinn aus ist, erhält die politische und gesellschaftliche Debatte einen Zugewinn an Alltags- und Lebensweltwissen, das die Betroffenen aus ihrer Lethargie befreien und zu Akteuren des gesellschaftlichen und zeitgeschichtlichen Handlungsraumes machen könnte.

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